Semiramide, La Signora regale
Semiramide war die Skandalnudel unter den antiken Herrscherinnen. Sie wurde des Mordes an
ihrem Liebhaber verdächtigt, man bezichtigte sie der Hurerei, und sogar sexuelle Beziehungen
mit Tieren soll sie gehabt haben. Kein Wunder, dass sich Schriftsteller wie Komponisten mit
Freude auf einen solchen Charakter stürzten. So gibt es seit der Barockzeit bis heute allein
mehr als hundert Opern über den ziemlich aufgebauschten Mythos von der unmoralischen Königin.
Am bekanntesten ist die Oper von Rossini.
Die italienische Mezzosopranistin Anna Bonitatibus, die man sich, wenn sie auf dem CD-Cover
mit düster-erhabenem Blick und goldenem Haarreif posiert, durchaus als machtgierige antike
Herrscherin vorstellen könnte, widmet sich auf ihrem aktuellen Album der umstrittenen Königin.
Sie präsentiert Werke des 18. und 19. Jahrhunderts von Händel oder Rossini bis zu heute unbekannten
Kleinmeistern wie Andrea Bernasconi, Francesco Bianchi oder Sebastiano Nasolini als sorgfältig
ausdifferenzierte Arienmischung. Ein Großteil der Titel sind zudem Ersteinspielungen.
Die Accademia degli Astrusi aus Bologna unter Federico Ferri brilliert auch in den rein
instrumentalen Titeln durch feinsinnigen Klangausgleich und spannungsreiche Phrasierungen.
Im Mittelpunkt stehen aber natürlich die großartigen Vokalstücke, in denen Anna Bonitatibus
sich mit individuellen Klangfarben und immenser Stimmfülle stets von Neuem aus der
Begleitungsornamentik hervorstrahlt. Besonders ihr in vielen Farben schattiertes Vibrato ist
grandios.
Heute nicht mehr selbstverständlich und deshalb erwähnenswert: Der spannenden Doppel-CD
liegt ein umfangreiches und fantasievoll gestaltetes Booklet mit interessanten Fakten
und Legenden als geschichtliches Kurz-Briefing bei.